Vorwort

Ich bin im April 1967 in Leipzig geboren, nur 22 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Histo­risch ein Katzen­sprung, doch für mich: Un­endlich weit weg. Diktatur, Hitler, Krieg: Ge­schichts­unter­richt.

Meine Kinder kamen um 2010 herum auf die Welt. Ihre zeitli­che Distanz zum Fall der Berliner Mauer ist teils noch größer als meine zu Hitler. Die DDR mei­ner Kindheit und Jugend wird für sie das sein, was für mich der Nationalsozia­lismus war: Ge­schichtsunterricht.

Sie werden die DDR „behandeln“, reduziert auf die Stasi, auf Erich Honecker, auf die Mauer und auf die „Sozia­listische Ein­heitspartei Deutsch­lands“. Das alles wird ihnen im schlimms­ten Fall noch von den letzten Ver­tretern genau der Lehrerge­neration vermittelt, die damals mir gegenüber die Fahne des Sozia­lismus hochhielt.

Ich weiß erst heute, dass „Leben in der DDR“ weit mehr war, als sich durch Schlagworte beschreiben lässt. Erst in der Rück­schau sehe ich, wie tief die dunklen Strukturen der Dikta­tur einge­drungen sind, selbst in unsere Familie und in meine kleine Kinderwelt, und wie sie mich prägten – ohne, dass ich das damals unmittelbar spürte. Und ich fürchte, genau das wird im Schulunterricht nicht vermittelt. Ich fürchte, die Leh­rer belas­sen es beim Lehr­plan. Bei Stasi, Mauer und SED. Weil sie hof­fen, ihre Schüler mö­gen nicht fragen, wie sie eigentlich durchs Lehrerleben in der DDR ge­kommen sind.

Hier wurden Geschichten gesammelt. Für meine Kinder. Anekdoten, kleine Erzäh­lun­gen, Erinnerungen. Nicht alle ha­ben etwas mit „dem Staat“ zu tun. Trotzdem verbinde ich mit ihnen die Hoffnung, es möge sich ein Ge­fühl dafür entfalten, wie ihr Vater in der DDR aufwuchs. Wie es sich dort lebte, in einer Diktatur. Wie gruselig, wie arm­selig, wie gefährlich sie war. Welche in­formelle Macht ihr innewohnte. Dass die DDR eben mehr war als Mauer, Honecker und Stasi. Weil sie je­den einzelnen prak­tisch zur Mittäterschaft zwang. Auch mich, und ich war zum Mau­er­fall gerade mal zweiundzwanzig Jahre alt.

 

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